Talk about mit Dr. med. Franz Bartmann
Interview mit Dr. med. Franz Bartmann
Vorsitzender des Förderkreises Qualitätssicherung S-H
vom 08.04.2019
FKQS-SH: Sehr geehrter Herr Dr. Bartmann, wo sehen Sie die Chancen bzw. Risiken bei der Telematik-Infrastruktur?
Dr. Franz Bartmann: Bei der Telematik-Infrastruktur (TI) handelt es sich um eine zeitgemäße und sichere Infrastruktur, deren klares Ziel positiv belegt ist. Die oft heraufbeschworenen Risiken werden m. E. überbewertet. Sie sind im Vorfeld mehrfach und wiederholt analysiert und abgebaut worden, sodass technisch und rechtlich keine erkennbar relevanten Risiken übrig geblieben sind. Brief und Fax sind aus meiner Sicht deutlich unsicherer.
Am ehesten sehe ich das Datenrisiko beim Patienten selbst. Das betrifft allerdings nicht nur die digitale Zukunft, sondern ist unabhängig von der Form der Datenhaltung in der Hand des Patienten. Immerhin müssen ab 01.12.2019 die durch Krankenkassen neu ausgegebenen Versichertenkarten mit einer kontaktlosen NFC-Schnittstelle (Near Field Communication) ausgestattet sein. Damit kann der sichere Schlüssel der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) auch außerhalb des TI-Szenarios durch den Karteninhaber selbst genutzt werden.
Was müsste Ihrer Meinung nach geändert werden?
Dr. Franz Bartmann: Die Aufklärung aller Anwender, auch der Patienten, hinsichtlich der TI-Nutzung und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten muss verbessert werden. Hierzu sollten einfache und einprägsame Informationen in zeitgemäßen Medien genutzt werden. Die bisherige Informationsstrategie ist völlig unzureichend und kaum in den jeweiligen Zielgruppen angekommen.
Wie sehen Sie die Übernahme der Gematik durch den künftigen Mehrheitsgesellschafter „Bundesgesundheitsministerium“? Welche Probleme/Herausforderungen des Gematikkonstruktes sehen Sie?
Dr. Franz Bartmann: Dahinter verbirgt sich eine späte – zu späte – Erkenntnis. Der Aufbau der Infrastruktur wäre primär eine staatliche Aufgabe gewesen, organisatorisch und finanziell. Bei der Entwicklung und dem Betrieb konkreter Anwendungen wäre dann die Selbstverwaltung ins Spiel gekommen. Mit der anwendungsreifen Entwicklung eines Notfalldatensatzes und des bundeseinheitlichen Medikationsplanes hat diese bewiesen, dass sie dazu durchaus in der Lage ist. Bei der Entwicklung der Infrastruktur hat sie sich dagegen häufig in Patt-Situationen neutralisiert. Als Mitglied der Schlichtungsstelle der Gematik könnte ich davon gleich mehrere Lieder singen.
Wird aus Ihrer Sicht die Politik den Termin bzgl. möglicher Honorarkürzungen eventuell noch einmal verschieben, weil die Softwarehäuser die Praxen nicht schnell genug ausstatten können?
Dr. Franz Bartmann: Bundesweit haben 2/3 der Ärzte bis zum 31.03.2019 bestellt, somit gehen wir davon aus, dass diese Ende Juni auch ausgestattet sein werden – vorausgesetzt die Industrie schafft es, rechtzeitig zu liefern. Falls nicht, wird es für die Ärzte vermutlich keine Abschläge geben. Sanktionen für die Industrie sind nicht vorgesehen.
Die Frage, warum ein Drittel der Ärzte nicht fristgerecht bestellt hat, ist nicht, wie häufig gehört, mehrheitlich der Altersstruktur geschuldet. Betroffen sind nämlich nicht nur Ärzte wenige Jahre vor Praxisübergabe. Das wäre auch kurzsichtig, weil damit eine nicht funktionsfähige (Vertrags-)Arztpraxis zur Disposition stünde. Vielmehr sind es einschlägige Erfahrungen der Vergangenheit, in der eine Verweigerungshaltung nicht zu Sanktionen geführt hat. Das wird diesmal anders sein.
Kommt es durch den Anschluss zu vermehrten Systemabbrüchen oder zu Problemen mit der PVS?
Dr. Franz Bartmann: Technisch gesehen scheint es bis auf Einzelfälle kaum Probleme zu geben; in der Regel sind die Rückmeldungen sehr positiv. Der aktuelle Trommelwirbel über serielle oder parallele Anbindung des Konnektors ist die bekannte Begleitmusik zur Einführung. Beide technischen Lösungen haben im Einzelfall ihre Berechtigung. Auch hier spielt mangelhafte Information und Kommunikation eine Hauptrolle.
Die Patienten haben zum Teil noch die alten Versicherungskarten, weil noch gültig. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
Dr. Franz Bartmann: Gefühlt bietet fast jeder zweite Patient das Problem mit der Versichertenkarte am Praxistresen. Erneut ist mangelhafte Aufklärung das Megathema. Denn das Gültigkeitsdatum ist nicht durch den lesbaren Kartenaufdruck sondern durch die Information auf dem elektronischen Kartenchip definiert. Tatsache ist, dass immer nur die letzte von der Krankenkasse versendete Karte Gültigkeit besitzt und eingelesen werden kann.
Wie gestaltet sich der Umgang mit der Kommunikation mit den Software-Herstellern z. B. der Hotline?
Dr. Franz Bartmann: Ich kann mich hier nur auf die CompuGroup Medical (CGM) als größten Anbieter beziehen. Hier werden von beiden Seiten keine systematischen Probleme reklamiert.
Haben Sie Ängste bezüglich der Kommunikation über die TI mit den Krankenkassen – und wenn ja welche?
Dr. Franz Bartmann: Nein, überhaupt nicht. Krankenkassen sind nicht nur „Bezahler“, sondern ihren Mitgliedern gegenüber auch für einen effektiven und effizienten Einsatz der Mitgliedsbeiträge verpflichtet. Leistungserbringer und Kostenerstatter haben im Prinzip also das gleiche Ziel. Und das erreicht man am besten gemeinsam und nicht gegeneinander.
Ein zentrales Element der vernetzten Gesundheitsversorgung ist die elektronische Patientenakte (ePA). Wie stehen Sie dazu?
Dr. Franz Bartmann: Die e-PA ist seit mehr als 10 Jahren überfällig. Digital erhobene und gespeicherte Informationen müssen einrichtungsübergreifend schnell und strukturiert zur Verfügung stehen. Dabei sind die Bedarfe je nach Versorgungseinrichtung und Versorgungsebene durchaus unterschiedlich. Das ist bei der syntaktischen und semantischen Entwicklung der staatlich geforderten Patientenakte durch die KBV unbedingt zu berücksichtigen.
Übrigens beginnen wir ja nicht bei Null. Der Notfalldatensatz existiert bereits als kleine Gesundheitsakte, ebenso der Medikationsplan. Wichtig wäre es jetzt, modulhaft die ePA weiter als ein lernendes System auf- und auszubauen, als ausschließlich auf ein fertiges Gesamtpaket zu setzen. Nur so können Fehler(-quoten) verringert und die Kommunikation untereinander verbessert werden. Zeitgleich erhöht sich damit die Transparenz und die Qualität der Versorgung.
Sehr geehrter Herr Dr. Bartmann, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch führten: Yvonne Leichsenring, Dr. Claudia Ehrenhofer und Dr. Stephanie Domm
Curriculum Vitae Dr. med. Franz Bartmann
Dr. Franz Bartmann wurde als langjähriger Vorsitzender des Förderkreises Qualitätssicherung S-H auf der letzten Mitgliederversammlung für weitere 2 Jahre im Amt bestätigt.
Von 2001 bis zum September 2018 war er Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und als Vorsitzender des Ausschusses „Telematik“ der Bundesärztekammer dort für das Themengebiet Telematik und Telemedizin politisch verantwortlich. Aktuell ist er noch Mitglied der Schlichtungsstelle der Gematik.
Außerdem war der gelernte Viszeral- und Unfallchirurg langjähriger Vorsitzender des Ausschusses und der Arbeitsgremien „Aus-, Fort- und Weiterbildung“ der Bundesärztekammer.