Personalisierte Medizin: Vor der Verordnung steht der Test (Teil 6)

Wer möchte, kann testen.

(Autor: Prof. Dr. Theo Dingermann)

Ist eine Stratifizierung einer Arzneimitteltherapie bei innovativen, zielgerichteten Wirkstoffen heute weitestgehend akzeptiert, ist dies für ältere Wirkstoffe noch keineswegs der Fall. Das liegt u.a. auch daran, dass es vielfach noch an harten Evidenzdaten mangelt. Problematisch in diesem Kontext ist die Tatsache, dass die meisten der in Frage kommenden Wirkstoffe nicht mehr durch Patente geschützt sind, so dass kaum damit zu rechnen ist, dass im Rahmen kostspieliger klinischer Studien dieses Evidenzdefizit behoben wird.

Dennoch gibt es gute Gründe, eine genetische Testung auch beim Einsatz dieser Wirkstoffe in Erwägung zu ziehen. Dabei stehen nicht so sehr die pharmakologischen Zielstrukturen der Wirkstoffe im Mittelpunkt der Untersuchung, sondern die Strukturen, mit denen ein Wirkstoff im Organismus des Patienten auch noch in Kontakt kommt und die das Verhalten des Wirkstoffs deutlich beeinflussen können. Da dieses Strukturen krankheitsunabhängig sind, kann ein solcher Test auch zu einem beliebigen Zeitpunkt und ohne direkte Indikation, aber im Sinne einer präventiven Maßnahme durchgeführt werden.

Um sich ein Bild zu verschaffen, bei welchen Wirkstoffen man mit einem von der Norm abweichenden physiologischen Verhalten rechnen muss, das sich entweder in Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit äußert, hat die Firma Humatrix (www.humatrix.de) den Stratipharm-Test (www.stratipharm.de) entwickelt. Die Basis dieses Tests bilden derzeit 31 Gene, deren Produkte das individuelle physiologische Verhalten eines pharmazeutischen Wirkstoffs beeinflussen können, wenn sie nicht in der Wildtyp-Konstellation vorliegen. Keines dieser Gene erlaubt substantielle Rückschlüsse auf potentielle Krankheiten, so dass dieser Test nicht als klassisches, krankheitsrelevantes Diagnostikum, sondern als neues arzneimittelbezogenes Diagnostikum zu sehen ist. Aus diesem Grund wird der Test auch ausschließlich über Apotheken vertrieben, die sich fachlich qualifiziert haben.

PharmGKB als wissenschaftliche Daten-Interpretationsbasis

Die Basis für die Interpretation der erhobenen Daten bildet die allgemein zugängliche Datenbank PharmGKB (www.pharmgkb.org/). Das NIH hat im April 2000 Mittel bereitgestellt, auf deren Basis sich ein Konsortium bilden konnte, das sich speziell dem Wissen im Bereich Pharmakogenomik widmet. Die Hauptaufgabe dieses Konsortiums bestand darin, Primärdaten zu sammeln, zu strukturieren, zu pflegen und zu interpretieren. Aus diesen Daten lassen sich dann Genotyp/Phänotyp-Verknüpfungen, sinnvolle Dosis-Anpassungen und andere klinische Handlungsoptionen bei besonderen, für die Arzneimitteleinnahme relevanten genetischen Konstellationen ableiten.

Abbildung 1

Abb. 1. Die PharmaGKB-Datenbank als zuverlässige Datenquelle für pharmakogenetische Informationen und Entscheidungshilfen.

Das Aufgabenspektrum von PharmGKB umfasst

  • Genetische Varianten systematisch zu erfassen und Gen-Wirkstoff-Krankheits-Beziehungen anhand der publizierten wissenschaftlichen Literatur zu bewerten.
  • Die wichtigsten pharmakogenomisch relevanten Gene aufzulisten, Zusammenhänge zwischen Genvarianten und Wirkstoffen aufzuzeigen und ganz allgemein pharmakodynamische und pharmakokinetische Charakteristika von Wirkstoffen zu skizzieren.
  • Die von der FDA vorgeschlagenen oder geforderten Informationen auf den Packungsbeilagen für Arzneimittel zusammenzustellen.
  • Arbeitsaufträge an Expertenkommissionen zu vergeben und zu wichtigen pharmakogenomischen Fragen Stellung zu beziehen.
  • An Projekten mitzuarbeiten oder solche zu betreuen, die Richtlinien für eine modifizierte Medikamentendosierung erarbeiten.
  • In Form von Kooperationen an der klinischen Umsetzung von Projekten zur Pharmakogenomik mitzuarbeiten.
  • Richtlinien zu einer pharmakogenomisch-basierten Medikamentendosierung und Zusammenfassungen sehr wichtiger pharmakogenomischer und Wirkstoffrelevanter Wege zu publizieren.
  • Alle Informationen auf der Website des Konsortiums bereitzustellen und Downloads der wichtigsten Informationen zu ermöglichen.

Struktur der Datenbank

Die Datenbank ist in drei größere Sektionen gegliedert:

A Klinisch relevante pharmakogenomische Daten (Clinically-Relevant PGx)

B Dosierungshinweise basierend auf pharmakogenomischen Daten (PGx-Based Drug Dosing Guidelines)

C Pharmakogenomische Forschung (PGx Research).

Sektion A: Klinisch relevante pharmakogenomische Daten (Clinically-Relevant PGx)

Dieser Teil der Datenbank gliedert sich in folgende Unterpunkte:

Unter dem Link Well-known PGx associations sind Wirkstoffe aufgeführt, für die Unregelmäßigkeiten in ihrem pharmakodynamischen oder pharmakokinetischen Verhalten abhängig von bestimmten polymorphen Genprodukten gut verstanden sind. Es werden verschiedene Datensätze kenntlich gemacht, z. B. DG (Dosing Guideline information) = Empfehlungen zu Dosierungsanpassung, DL (Drug Label information) = Hinweise auf Informationen im Beipackzettel, CA (High-level Clinical Annotation) = Hinweise auf klinische Relevanz, VA (Variant Annotation) = Klinische Bedeutung einer bestimmten Genvariante, VIP = VIP (Very Important Pharmacogenes information) = Zusammenfassung der wichtigsten Informationen zu einem polymorphen Genprodukt, PW (Pathway) = Interaktions-, Reaktions- und Eliminationsschemata.

Unter dem Link Clinically relevant PGx summaries sind Level 1A- und 1B-Informationen zu finden, die ständig gepflegt werden. Eingang in diese Liste finden nur Informationen, die von unterschiedlichen Gruppen reproduziert werden konnten. Die beobachteten Effekte sollen signifikant und möglichst ausgeprägt sein.

Unter dem Link PGx drug dosing guidelines werden Ergebnisse gelistet, die von dem „Clinical Pharmaceutical Implementation Consortium“ (CPIC) der Royal Dutch Association for the Advancement of Pharmacy – Pharmacogenetics Working Group (DPWG) erarbeitet wurden. Diese Gruppe leitet von bestimmten Genoptypen konkrete Dosisempfehlungen für einzelne Wirkstoffe ab. Dies sind extrem hilfreiche Informationen gerade auch für den praktischen Alltag.

Unter dem Link Drug labels with PGx info findet man Informationen, wie pharmakogenomisches Wissen bisher bereits Eingang in Beschriftungstexten von Arzneimitteln und in die Beipackzettel von Arzneimitteln gefunden hat. Die Informationen stammen im Wesentlichen von der FDA und der EMA. Die FDA beispielsweise hat auf ihrer Homepage eine Tabelle mit pharmacogenomischen Biomarkern in Arzneimittelinformationsdokumenten veröffentlicht (https://www.fda.gov/Drugs/ScienceResearch/ucm572698.htm). Aber nicht nur diese eher leicht zugänglichen Informationen werden in diesem Teil der PharmGKB-Datenbank publiziert. Das Konsortium stellt hier alle Hinweise ein, die es selber findet oder die ihm gemeldet werden.

Unter dem Link Genetic tests for PGx findet man eine sicherlich nicht erschöpfende Liste genetischer Tests mit pharmakogenetischer Relevanz. Diese Liste wird stetig erweitert und verfeinert, so dass man davon ausgehen kann, dass man hier alle die Tests findet, die im Kontext pharmakogenomischer Probleme wichtig und relevant sind.

Allele eines Wildtyp-Gens werden mit dem Zeichen * gefolgt von einer Zahl kenntlich gemacht. In aller Regel bezeichnet man das Wildtyp-Allel selbst als das Star1-Allel (*1). Alle bisher bekannten relevanten Genvarianten, die in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit Arzneimittelwirksamkeit- und –verträglichkeit gebracht werden können, sind unter dem Link „Star (*) allele translations“ zusammengestellt. Dies ist eine überwältigende Menge an Information, die jedoch auch wieder in verschiedenen Kategorien gewichtet ist. Unterschiedliche Qualitäten von Informationen sind kenntlich gemacht, z. B. DG (Dosing Guideline information), DL (Drug Label information), CA (High-level Clinical Annotation), VA (Variant Annotation) und VIP = VIP (Very Important Pharmacogenes information).

Sektion B: Dosierungshinweise basierend auf pharmakogenomische Daten (PGx-Based Drug Dosing Guidelines)

Im PGx-Based Drug Dosing Guidelines findet man pharmakogenomische Auswertungen für besonders gut verstandene und gleichzeitig hoch-relevante genetische Konstellationen. Ein komplexes Entscheidungsschema wurde z. B. für den Einsatz von Simvastatin erarbeitet. Ein anderes befasst sich mit dem Einsatz von Abacavir bei Vorliegen bestimmter HLA-Haplotypen. Hinweise auf weitere Auswertungen werden tabellarisch zur Verfügung gestellt.

Über einem weiteren Link gelangt man zu einer Tabelle, die mit TTP Genes Tables überschrieben ist. Das Translational Pharmakogenetik Project (TPP) ist eine Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Arbeit des Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortiums (CPIC) in allgemein akzeptierte, in der Praxis umsetzbare Empfehlungen zu übersetzen.

Sektion C: Pharmakogenomische Forschung (PGx Research)

Unter dem ersten Link VIP: Very Important PGx gene summaries findet man alle VIP-Dokumente. Diese Liste ist zwischenzeitlich gewaltig angewachsen. Hier werden für Arzneimitterelevante Gene Basisinformationen bereitgehalten. Zusätzlich sind u.a. die wichtigsten Publikationen gelistet, auf die wichtigsten SNPs verwiesen, Haplotypen zusammengefasst und alle Wirkstoffe aufgezählt und mit relevanten Links versehen, die mit dem Genprodukt in irgendeiner Weise in Interaktion treten.

Der Link PharmGKB pathways führt zu einer Zusammenstellung von Interaktions- und Reaktionsschemata für Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen. Dies sind hervorragende Übersichten, welche Wege die verschiedenen Wirkstoffe auf zellulärer Ebene gehen, wie sie mit Biomolekülen interagieren, welche Konsequenzen diese Interaktionen auslösen und wie die Wirkstoffe metabolisiert und ausgeschieden werden.

Der Link Annotated SNPs by gene führt zu einer gewaltigen Datensammlung, in der alle annotierten SNPs gelistet sind. Dies ist die Basis für alle weiteren Auswertungen und Empfehlungen – quasi eine Sammlung der Primärinformation.

Der letzte Link in dieser Sektion ist überschrieben mit Drugs with genetic information. Hier ist der Bezugspunkt der Wirkstoff, der sodann mit allen möglichen pharmakogenomischen Informationen verlinkt ist.

Zusammenfassung

PharmGKB ist ein öffentliches, konsortial organisiertes Projekt, das sich der Sammlung, Auswertung und Pflege pharmakogenomischer Informationen verpflichtet fühlt. Die von diesem Konsortium zusammengestellte Web-Seite enthält eine fast unerschöpfliche Fülle von Informationen, die alle weiter verlinkt sind, um Wissenschaftler und Praktiker zu leiten, Lösungen für ihre jeweiligen konkreten Fragen und Probleme zu suchen und zu finden.