Talk about mit Gerhard Kruse

Interview mit Gerhard Kruse

Krankenkassenfachwirt

vom 14.08.2018

FKQS-SH: Sehr geehrter Herr Kruse, ist das Entlassmanagement Ihrer Meinung nach ein wichtiger Meilenstein, um die Versorgung der Patienten zu verbessern?

Gerhard Kruse: Natürlich! Im Bereich der Hilfsmittel ist das „Entlassmanagement“ nichts Neues. Wir praktizieren bei bestimmten Krankheitsbildern das Entlassmanagement mit (Reha-)Kliniken bereits seit Jahren. Als klassisches Beispiel nenne ich hier gerne die Beinamputation. Die Krankenhäuser hatten immer schon großes Interesse an einer frühzeitigen vernetzten Versorgung, z. B. bei Beinprothesen oder Orthesen. Die Interimsversorgung schon am Bett des Patienten einzusetzen, optimiert und beschleunigt den Heilungsprozess und gewährleistet eine gute und schnelle Entlassung. Dies ist im Interesse aller Beteiligten, vorausgesetzt, die anschließenden ambulanten und Reha-Maßnahmen sind konkret geplant und organisiert.

Durch den neuen Rahmenvertrag, der am 01. Oktober 2017 in Kraft getreten ist, sollte das Entlassmanagement nun noch strukturierter werden. Derzeit befasst sich allerdings „Gott und die Welt“ mit dem Thema. Jede betroffene Institution versucht das Gesetz so gut wie möglich umzusetzen und zu kommentieren. Alle fragen sich dabei, ob die Rechtsnormen des SGB V und des StGB eingehalten werden. Die Verunsicherungen sind meiner Meinung nach eher größer geworden. Bestehende Kooperationen wurden deswegen auch schon gekündigt.

Inwieweit gibt es Verträge zwischen den Hilfsmittelanbietern und den Kliniken zu diesem Thema?

Gerhard Kruse: Es gibt seit Jahren (Muster-) Kooperationsverträge mit Kliniken. Diese wurden nun juristisch den neuen Vorgaben zum Entlassmanagement angepasst. Aber die Kliniken gehen derzeit vor dem Hintergrund der Rechtsunsicherheit zögerlich mit derartigen Verträgen um, obwohl es keine Exklusivverträge sind und die Wahlfreiheit des Patienten darin beachtet wird.

Gibt es schon Prozesse, die etabliert sind?

Gerhard Kruse: Wenn ein Hilfsmittel für die Entlassung benötigt wird, dann unterschreiben die Patienten meist schon in der Klinik, dass sie damit einverstanden sind, mit welchem Sanitätshaus das Krankenhaus zusammenarbeiten möchte. Dann nimmt die Klinik den Kontakt auf. Die notwendigen Abstimmungsmaßnahmen mit der Krankenkasse übernimmt das Sanitätshaus. Die Lieferung und Anpassung des Hilfsmittels erfolgt im Krankenhaus. Ebenso erfolgt im Anschluss an die Krankenhausversorgung die ambulante Nachbetreuung. In der Regel sind die Patienten mit dieser Vorgehensweise sehr einverstanden, da sie kompetent und zügig versorgt werden. Alle profitieren von dieser Verfahrensweise.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden bezüglich des Entlassmanagements?

Gerhard Kruse: Es gibt einen großen Wunsch seitens der Sanitätshäuser und auch der Krankenhäuser zu evtl. Kooperationsverträgen ins Gespräch zu kommen. Wir kontaktieren sowohl die medizinischen als auch kaufmännischen Führungskräfte in den Kliniken. In aller Regel werden dabei intensive Kooperationen erwartet, die sich insbesondere auf die Versorgung des Patienten am Krankenbett beziehen. Die bestehenden Rechtsnormen sind dabei zu beachten.

Derzeit schießen aber immer mehr Managementgesellschaften aus dem Boden, die den Kliniken das komplette Entlassmanagement anbieten und für sie durchzuführen. Die Leistung wird meist durch Beiträge der Lieferanten (z. B. Hilfsmittelanbieter, häusliche Krankenpflege, Apotheken usw.) finanziert, mit denen die Managementgesellschaften ebenfalls Verträge abschließen. Hier herrscht ein sehr ausgeprägter Wettbewerb. Es sind keine Einzelfälle, dass langjährige Kooperationen kurzfristig „eingestellt“ werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, wie das Entlassmanagement eigentlich finanziert wird. Umsonst ist es nicht zu haben und das SGB V bzw. der Rahmenvertrag enthalten hierzu keine Regelungen. Ich kenne Klinken, die den sozialen Dienst personell deutlich aufgestockt haben. Wenn nun „Drittanbieter“ Leistungen „umsonst“ anbieten, so sind Kollisionen mit den angesprochenen Rechtsnormen fast programmiert. Die Branche der Seminaranbieter lebt im Augenblick jedenfalls ganz gut davon, den Leistungserbringern „konfliktfreie“ Kooperationen zu vermitteln.

Wie sehen die haftungsrelevanten Bedingungen aus. Werden die Verordnungen schon geprüft bzw. sanktioniert?

Gerhard Kruse: Die GBA-Richtlinie Hilfsmittel weist eine Lücke auf. Die Frage der Genehmigungspflicht ist im Entlassmanagement nicht eindeutig geregelt. Um aufs Beispiel Beinprothese zurückzukommen. In diesem Fall muss die Krankenkasse vor der Abgabe die Beinprothese/Verordnung genehmigen. Ob nun die Klinik oder der Hilfsmittelanbieter diese Genehmigung einholen muss, ist unklar. Insofern versuchen die Sanitätshäuser haftungsrelevante Bedingungen immer vorher zu klären. In ungeklärten Fällen könnte es zu Retaxierungen seitens der Kassen kommen. Diese Spielregeln gelten unabhängig davon, ob die Verordnung im Zuge des Entlassmanagements oder im Rahmen der Regelversorgung durchgeführt wurde. Nebenbei gesagt sind Krankenhäuser auch gar nicht dazu in der Lage, sich Kostenvoranschläge genehmigen zu lassen, da dies nur noch elektronisch auf der Basis konkreter Softwareprogramme möglich ist.

Zu guter Letzt: Welche Unterstützung seitens der Gesetzgebung würden Sie sich zu diesem Thema wünschen?

Gerhard Kruse: Ich erwarte von der Gesetzgebung oder den Playern im Gesundheitswesen Spielregeln, die eine konfliktfreie und wettbewerbsneutrale Zusammenarbeit zwischen den Leistungserbringern ermöglichen. So haben z. B. die KBV und die DKG auf ihren Homepages Richtlinienkataloge für die Zusammenarbeit erstellt, in denen positive und negative Beispiele dargelegt sind. Auch der BVmed hat sich kompetent an der Diskussion beteiligt. Doch die Verunsicherung unter den Akteuren bleibt. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaften personell aufrüsten und einzelne Vertragspartner unerwünschten Besuch bekommen, weil die „liebe Konkurrenz“ Vorwürfe erhebt.

FKQS-SH: Sehr geehrter Herr Kruse, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Gespräch führten: Dr. Monika Övermöhle und Dr. Claudia Ehrenhofer

Curriculum Vitae Gerhard Kruse

Krankenkassenfachwirt

1968 – 2008 Krankenkassen: AOK / IKK /BKK, überwiegend imVertragsbereich, 25 Jahre in ltd. Funktion (Hannover, Magdeburg, Kiel)
2009 – 2016 Vertragsmanagement bei der Nowecor AG, Sanitätshäuser
seit 2009 Selbstständige Tätigkeit „Beratung und Dienstleistungen im Gesundheitswesen“
2011 GmbH Geschäftsführer (nebenberuflich) der DGP GmbH (Präqualifizierung Hilfsmittel)

 

Sonstiges

  • ehrenamtlicher Sozialrichter (bis 31.12.2013)
  • Dozent an der Fachhochschule Flensburg (Studiengang „Gesundheitsmarkt und Management“)
  • Referent im Rahmen von Kongress-Veranstaltungen im Gesundheitswesen
  • Entwicklung neuer innovativer Versorgungsformen
  • Vorträge, Schulungen zu aktuellen Themen im (vertraglichen) Gesundheitswesen