Talk about mit Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina

Interview mit Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina

Stabsstelle Unternehmensentwicklung, Vorstands- und Aufsichtsratsadministration; Ärztliche Leitung Qualitäts- und Risikomanagement und Patientensicherheit des UKSH

vom 21.08.2018

FKQS-SH: Wie weit ist das UKSH im Umgang mit dem Entlassmanagement?

Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina: Seit 2015 leite ich den Bereich „Qualitäts- und Risikomanagement und Patientensicherheit am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein“ und frühzeitig, im Januar 2017, gründeten wir eine große Arbeitsgruppe zum Thema Entlassmanagement mit über 15 unterschiedlichen Funktions- bzw. Berufsgruppen. Darunter waren z. B. Ärzte, Pflegekräfte, Sozialdienst, Aufnahmekräfte, IT, Physiotherapeuten, Justiziariat und viele mehr. Im campusübergreifenden Projekt „Entlassmanagement“ am Campus Kiel und Campus Lübeck führten wir unzählige Besprechungen und Videokonferenzen durch, entsprechende Arbeitspakete und Aufgaben sowie Verantwortlichkeiten wurden festgelegt.

Seit vielen Jahren existiert ja schon der pflegeseitig gut etablierte nationale Expertenstandard Entlassmanagement. Trotzdem ist es unstrittig, die Versorgungslücke von stationär zu ambulant schließen zu wollen. Durch die anhaltende Verkürzung der stationären Verweildauer – derzeit etwas mehr als 6 Tage am UKSH – und die Zunahme an immer älteren und multimorbiden Patienten, ist der Prozess der Entlassung deutlich komplexer geworden. Die Verschiebung der Umsetzung aus dem Rahmenvertrag vom 01.07. auf den 01.10.2017 kam uns sehr entgegen und hat uns noch ein wenig Luft verschafft, so dass wir am 01.10.2017 gut vorbereitet waren.

FKQS-SH: Gibt es schon Prozesse die etabliert sind zum Thema Entlassmanagement?

Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina: Wir haben den Prozess des Entlassmanagements anhand des stationären Patientenweges durchdacht und definiert. Voraussetzung für eine Teilnahme am Entlassmanagement, das ausschließlich gesetzlich krankenversicherte stationäre Patienten betrifft, ist die schriftliche Information und Einwilligung des Patienten. Ein multidisziplinäres Team im Krankenhaus ermittelt den voraussichtlichen Anschlussversorgungsbedarf des Patienten anhand eines Assessments, dokumentiert diesen in einem neu zu implementierenden Entlassplan und leitet alle notwendigen Anschlussmaßnahmen frühzeitig ein. Am Entlasstag erhält der Patient ein ärztliches Entlassgespräch, einen zumindest vorläufigen Entlassbrief sowie den aktualisierten Medikationsplan und ggf. Verordnungen für z. B. Medikamente, Hilfs- oder Heilmittel, AU-Bescheinigungen.

Wir haben prozessual die Patienteninformation und Einwilligung in der administrativen Patientenaufnahme verankert. Die Aufnahmekräfte, üblicherweise keine Mitarbeiter mit medizinisch-fachlichem Hintergrund, händigen den Patienten die Unterlagen aus und stehen ggf. für Rückfragen zur Verfügung („Was passiert wenn ich die Patienteninformation nicht unterzeichne?“). Nach Einholung der unterschriebenen Dokumente werden diese im Anschluss in die elektronische Patientenakte eingescannt und stehen somit allen weiteren Mitarbeitern jederzeit zur Verfügung.

Zu einem beachtlichen Anteil werden im UKSH auch ausländische Patienten versorgt. Überraschenderweise liegen die Patienteninformation und -einwilligung ausschließlich in deutscher Sprache vor. Eine Übersetzung in relevante Fremdsprachen ist leider auch fast 1 Jahr nach Inkrafttreten des Rahmenvertrages und nach wiederholten Anfragen nicht in Sicht. Warum eigentlich nicht? Wie sollen wir juristisch einwandfrei fremdsprachige Patienten über das Entlassmanagement aufklären?

Durch die notwendige Prozessanalyse der „Patientenaufnahme“ haben wir festgestellt, dass ca. 50 % unserer stationären Aufnahmen nicht während der Öffnungszeiten der normalen administrativen Aufnahme ins UKSH gelangen, sondern über Notaufnahmen oder direkt auf die Stationen. Um die konsequente Einholung der notwendigen Unterschriften von allen Patienten zum Entlassmanagement sicherzustellen sind erhebliche Schulungsbedarfe der Beteiligten notwendig. Dabei ist den Mitarbeitern – teilweise nachvollziehbar, weil die medizinische Versorgung zu Recht als prioritär angesehen wird – nur schwer vermittelbar, warum die als lästig und zeitraubend empfundene Administration dennoch unbedingt notwendig ist.

Auf der Station angekommen, wird das Assessment der Patienten durch die Pflegekräfte zur Evaluierung eines möglichen Anschlussversorgungsbedarfs durchgeführt. Besteht ein solcher Bedarf, erfolgt jetzt zu allererst die formale Überprüfung, ob alle notwendigen Unterschriften zum Entlassmanagement vorliegen bzw. ggfs. nachgeholt werden müssen. Zeitgleich erfolgt das Anlegen eines elektronischen Entlassplans im Krankenhaus-Informations-System (KIS), in dem alle relevanten Informationen zur Entlassplanung von den unterschiedlichen Professionen zusammengeführt werden.

Das Verordnen von Arzneimitteln im Entlassmanagement stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen, denn es ist den Fachärzten nur erlaubt, die kleinstmögliche Packungsgröße (N1) zu verordnen und natürlich auch auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zu achten. Darf der Facharzt beispielhaft ein Antibiotikum verordnen, wenn dieses nur noch 3 Tage nach der Entlassung (1 Tablette/Tag) eingenommen werden soll, aber in der entsprechenden N1-Packung 10 Tabletten enthalten sind oder sollten die 3 verordneten Tabletten doch besser vom Krankenhaus dem Patienten mitgegeben werden? Aufgrund begründeter Unsicherheit und aus berechtigten Befürchtungen gegenüber Regressforderungen präferieren wir die direkte Medikamentenmitgabe bis zum nächsten ambulanten Arztbesuch am Folgetag bzw. nach dem Wochenende durch den Patienten.

Am Entlasstag haben alle Patienten, die am Entlassmanagement teilnehmen, einen Anspruch auf ein ärztliches Entlassgespräch, einen zumindest vorläufigen Arztbrief sowie den aktualisierten Medikationsplan und ggf. Verordnungen. All dies sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber leider sehen wir auch hier noch intern Optimierungspotenzial.

FKQS-SH: Wie haben Sie es geschafft, diese Veränderungen im Bereich des UKSH umzusetzen bzw. alle Mitarbeiter über die neuen Prozesse zu informieren?

Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina: Ein zentrales Thema bei der Implementierung von solch gravierenden organisatorischen und prozessualen Veränderungen besteht in den Informations- und Schulungsveranstaltungen aller Beteiligten. Rund 13.000 Mitarbeiter am UKSH erfordern ein differenziertes Informations- und Schulungskonzept, das sowohl die Information der beteiligten Anspruchsgruppen über die Neuerungen des Entlassmanagements sicherstellt, als auch die Schulung der neuen Arbeitsschritte ermöglicht. Wir haben eine intensive interne Bewerbung über alle Medienkanäle durchgeführt – beispielhaft berufsgruppenspezifische Vor-Ort-Schulungen auf den Stationen, allgemeine Hörsaalveranstaltungen, Intranet- und Internetauftritte, Stationsposter, Kitteltaschenhilfen, E-Mail-Informationen, Infobriefe sowie einen Film über das Entlassmanagement (https://www.youtube.com/watch?v=_4g3MNil3tg), um möglichst wirklich alle zu erreichen.

Aber am 01. Oktober 2017 änderte sich erst einmal noch nicht so viel, so dass wir die Informations-Kampagnen weiter fortgeführt haben. In den folgenden Monaten gingen die Patientenzahlen mit einem Entlassmanagement stetig nach oben. Mittlerweile haben wir ein Plateau bei ca. 30 % aller unserer über 100.000 stationären Patienten pro Jahr erreicht. Ab dem Tag 1 wurde die Umsetzung des Entlassmanagements elektronisch nachverfolgt und seitdem erfolgt ein monatliches Reporting an alle Stationen über den aktuellen Entlassmanagement-Status, damit die Bereiche ihre eigenen Zahlen selber im Blick haben und darauf entsprechend reagieren können.

FKQS-SH: Was würden Sie sich in Bezug auf die Umsetzung zum Entlassmanagement noch wünschen?

Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina: Wie schon gesagt, der Grundgedanke des Entlassmanagements ist richtig und gut, aber hier gibt es noch einiges zu überarbeiten, wie zum Beispiel die Reduktion der Formulare (die dann auch bitte in anderen Sprachen zur Verfügung stehen sollten). Der administrative Aufwand ist immens und meines Erachtens niemandem, weder Patienten noch Mitarbeitern, vermittelbar. Die doch beachtlichen Kosten, die durch die Einführung des Entlassmanagements allen Krankenhäusern entstanden sind und weiter bestehen, müssen refinanziert werden. Neben den reinen Sachkosten für die zusätzlichen KIS-Softwarelösungen kommen noch Kosten von etwa 20.000 € pro Jahr für das Einscannen der Informations- und Einwilligungsbögen sowie ein Personalmehraufwand von über 20 Vollzeitkraftäquivalenten unterschiedlicher Professionen auf das UKSH zu. Dies entspricht jährlichen personellen Zusatzkosten von über 1 Million € – eine Gegenfinanzierung hierfür ist vom Gesetzgeber oder den Kostenträgern jedoch nicht vorgesehen.

Zum Wohle aller Patienten sollte nun konsequenterweise dem Entlassmanagement ein strukturiertes Einweisungsmanagement folgen, damit das Entlassmanagement schon auf den vorhandenen, aber oftmals bei der Krankenhauseinweisung nicht vorliegenden Informationen über die Patienten (soziales Umfeld, Pflegebedürftigkeit, aktuelle Medikation, etc.) aufbauen kann. Dann schließt sich der Kreis für unsere Patienten von Aufnahme in das Krankenhaus über die stationäre Behandlung bis zum Entlassen mit nachstationär geregelter Versorgung – ganz im Sinne des PDCA-Zyklus‘. Wir sind gespannt und hoffen, dass Lehren aus dem Rahmenvertrag Entlassmanagement gezogen werden!

Das Gespräch führten: Dr. Claudia Ehrenhofer und Dr. Herme Rijnberk

Curriculum Vitae Prof. Dr. Dr. Rainer Petzina

Stabsstelle Unternehmensentwicklung, Vorstands- und Aufsichtsratsadministration; Ärztliche Leitung Qualitäts- und Risikomanagement und Patientensicherheit des UKSH

seit 11/2015 Ärztliche Leitung Qualitäts- und Risikomanagement und Patientensicherheit am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
2010 – 2015 Oberarzt Herzchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Ärztlicher Qualitätsmanagementbeauftragter (QMB)
2009 Oberarzt Herzchirurgie am Deutschen Herzzentrum Berlin
2006 Ärztlicher Qualitätsmanagementbeauftragter (QMB) am Deutschen Herzzentrum Berlin
10/1999 Assistenzarzt Herzchirurgie am Deutschen Herzzentrum Berlin
1994 – 09/1999 Arzt im Praktikum und Assistenzarzt in der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier