Talk about mit Bianca Hartz

Foto Bianca HartzInterview mit Bianca Hartz

Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein, Leiterin der Abteilung Zulassung/Praxisberatung

23.07.2020 in der KVSH

 

FKQS-SH: Wie empfinden Sie die aktuelle Versorgungsstruktur?

Bianca Hartz: Die aktuelle Versorgungsstruktur ist sehr gut, auch wenn noch nicht alle der aufgrund neuer Reglungen des G-BA zur Bedarfsplanung im vorigen Jahr neu entstandenen freien Stellen bereits besetzt werden konnten. Die Vergabe der freien Stellen wird sich mit der Niederlassung der neuen Ärzte spätestens in den nächsten Monaten positiv auf die Versorgungssituation auswirken und zwar sowohl auf den hausärztlichen Bereich als auch auf die Versorgung in anderen Fachgebieten, denn zusätzliche Stellen sind beispielsweise in der Augenheilkunde sowie für Psychiater und Neurologen entstanden. Die tatsächliche Situation wird sich daher noch verbessern, was sich zum Beispiel auf die Wartezeiten auswirken dürfte, und durch Niederlassungen in ländlichen Bereichen werden sich Wege zur Arztpraxis verkürzen.

Bundesweit gibt es schwierige Bereiche wie die Rheumatologie und die Schmerztherapie, weil es zu wenig Ärzte gibt, die sich entsprechend spezialisiert haben. Wir haben darauf reagiert und für die Schmerztherapie in unserem Bedarfsplan im Einvernehmen mit den Krankenkassen eine eigene arztgruppenübergreifende Bedarfsplanung beschlossen, die sonst keine KV hat. Durch unser Vorgehen scheint es sich in Schleswig-Holstein momentan in der Schmerztherapie zu stabilisieren. Nachfolger konnten gefunden und freie Stellen besetzt werden. Wie sich die vom G-BA beschlossenen Quotenregelungen im Bereich der Inneren Medizin auswirken, bleibt abzuwarten. Von den freien „Quotenplätzen“ in der Rheumatologie konnten bereits zwei Stellen besetzt werden und wir hoffen, dass sich für die verbliebenen 1,5 Stellen ebenfalls internistische Rheumatologen finden.

Anders ist die Situation im Bereich der Substitution. Hier kommen fast keine neuen Ärzte nach, die bereit sind, im Rahmen ihrer Niederlassung zu substituieren. Die jetzt noch substituierenden Ärzte haben einen hohen Altersdurchschnitt. Wir setzen uns daher für neue Modelle wie beispielsweise Institutsermächtigungen ein, damit die Last zukünftig weniger bei den einzelnen Ärzten liegt.

Erwähnt sei noch, dass in Schleswig-Holstein die geltenden Regelungen zur Bedarfsplanung gut nachjustiert werden, indem der Zulassungsausschuss Sonderbedarfsanträge sehr gründlich prüft und regelmäßig auch positive Entscheidungen trifft. Trotz Zulassungsbeschränkungen werden dann weitere Ärzte und Ärztinnen bzw. Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen ins System der vertragsärztlichen Versorgung gebracht. Diese Entscheidungen beruhen häufig auf Datenmaterial, das die KVSH zu den Anträgen liefert. Beispielsweise werden auf Karten Patientenströme dargestellt. Die Zulassungsinstanzen haben immer bessere Möglichkeiten, die Versorgungssituation objektiv zu bewerten und Lücken in der Versorgung zu erkennen, was dann zur Stattgabe von Anträgen auf Zulassung oder Genehmigung einer Anstellung trotz Zulassungsbeschränkungen führt.

Teampraxen: Wie bekommen Sie das Modell Teampraxis nach draußen?

Bianca Hartz: Erst seit Februar 2020 steht fest, in welchen Gebieten das Modell Teampraxis durch den Strukturfond der KVSH gefördert werden kann. Wir haben darüber in unserem Mitteilungsblatt informiert, allerdings kam dann die Pandemie. Vermutlich wird im Kreis Schleswig-Flensburg nunmehr das erste Projekt entstehen. Eine Teampraxis kann nicht von heute auf morgen aus dem Boden gestampft werden, sondern benötigt Zeit. Es kann nur vor Ort entschieden werden, wo es passt und ob so eine Praxis aufgebaut werden soll. Häufig ist quasi ein Kern bereits vorhanden sein, der nunmehr erweitert werden könnte.

Das Konzept der Teampraxis unterscheidet sich von den kommunalen Lösungen, d. h. von kommunalen Eigeneinrichtungen, wie wir sie in Schleswig-Holstein in Büsum und Lunden haben. Der Aufbau dieser kommunalen Strukturen wird durch die KVSH nicht mehr gefördert. Bei uns steht jetzt das Teamkonzept im Fokus, nachdem geklärt ist, dass kommunale Eigeneinrichtungen rechtlich machbar sind und somit eine Notlösung darstellen können. Eine solche Klärung herbeizuführen, war der Sinn unserer Anschubfinanzierung für diese Projekte. Nunmehr soll der Fokus auf die vertragsärztliche Trägerschaft gerichtet sein, da wir diese nach wie vor als Modell der Zukunft ansehen.

Teampraxen sollen in vertragsärztlicher Trägerschaft geführt werden. Bei der Teampraxis teilen sich idealerweise mehrere Ärzte die Trägerschaft und damit auch die Verantwortung sowie das wirtschaftliche Risiko. Teampraxen sollen in den ländlichen Zentralorten entstehen, weil dort die hierfür notwendige Infrastruktur vorliegt bzw. am ehesten hergestellt werden kann. Dabei geht es beispielsweise um neue Mobilitätskonzepte, denn eine Herausforderung des ländlichen Bereichs ist der Erhalt der Mobilität insbesondere der immer älter werdenden Bevölkerung bei fortschreitender Zentralisierung in allen Bereichen. Hierfür sind die Kommunen zuständig und können so dazu beitragen, dass die konkreten Standorte der zukünftigen Teampraxen auch gut erreichbar sind. Wir gehen davon aus, dass viele Gemeinden gerne auf diesem Wege zum Erhalt der vertragsärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich beitragen werden, ohne durch Gründung eines kommunalen MVZs oder einer kommunalen Eigeneinrichtung selbst die Trägerschaft übernehmen zu müssen.

Was ist aus Ihrer Sicht für junge Ärzte und Ärztinnen spannender – in die Klinik, in die niedergelassene Praxis oder in die Forschung zu gehen? Warum ist das aus Ihrer Sicht so?

Bianca Hartz: Das dürfte eine Frage der Neigung sein, aber wir beobachten, dass durchaus ein großes Interesse am Einstieg in den ambulanten Bereich besteht. Da der ambulante und der stationäre Bereich sich nicht zwangsläufig ausschließen, sondern heute die Möglichkeit besteht, halbtags als niedergelassener Vertragsarzt tätig zu sein und halbtags weiterhin im stationären Bereich angestellt zu sein und womöglich hochspezialisierte Leistungen erbringen zu können, muss es keine Entscheidung zwischen Klinik und eigener Praxis sein. Häufig ist es eine wichtige Botschaft für tendenziell niederlassungswillige Ärzte, dass sie sich nicht unbedingt entscheiden müssen, sondern es heutzutage viele neue Möglichkeiten gibt, das Eine mit dem Anderen zu verbinden.

Ein niedergelassener Arzt trägt die volle wirtschaftliche Verantwortung. Das mag als abschreckend oder spannend empfunden werden. Größere Praxen benötigen professionelle Managementstrukturen, die dann die Konzentration der Ärzte und Ärztinnen auf die ärztliche Tätigkeit ermöglichen. Der Aufbau solcher größerer Strukturen im ambulanten Bereich kann als spannende Aufgabe angesehen werden, wobei wir wieder bei dem Thema Teampraxis wären.

Warum glauben Sie, dass immer weniger junge Mediziner und Medizinerinnen sich für die Fachrichtung Allgemeinmedizin entscheiden?

Bianca Hartz: Es sind nicht immer weniger. In 2015 haben wir gemeinsam mit den Krankenkassen 127 Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin bezuschusst und schon jetzt, Mitte des Jahres 2020, ist absehbar, dass es in 2020 mindestens 150 Stellen sein werden. Das Interesse an der Allgemeinmedizin scheint also zuzunehmen, was uns natürlich freut. Wichtig ist aber, dass nach Erwerb der Facharztanerkennung auch der Weg in die Niederlassung gefunden wird und dabei hilft das Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin (KWA).

Ein Grund dafür, sich nicht für die Allgemeinmedizin bzw. für die Niederlassung als Facharzt bzw. Fachärztin für Allgemeinmedizin zu entscheiden, war in der Vergangenheit, dass die Allgemeinmedizin im Studium wenig präsent war. Das hat sich jetzt glücklicherweise durch die Lehrstühle für Allgemeinmedizin geändert und im Rahmen der Weiterbildung wird die Entscheidung für die Niederlassung insbesondere durch die bundesweite Installierung der Kompetenzzentren für die Allgemeinmedizin erleichtert. Die Lehrstühle für die Allgemeinmedizin in Kiel und Lübeck bzw. Frau Prof. Kaduszkiewicz und Herr Prof. Steinhäuser sowie das hiesige Kompetenzzentrum haben einiges in Bewegung gebracht. Schön wäre es sicherlich, wenn die Allgemeinmedizin schon im Studium eine immer größere Rolle spielen würde.

Daneben versuchen wir, Möglichkeiten der Niederlassung in Schleswig-Holstein aufzuzeigen, indem wir zum Beispiel schon seit einigen Jahren Studierenden im Sommer eine Bustour zu ganz unterschiedlichen Hausarztpraxen anbieten und zwar im Rahmen unserer Kampagne „mehr Arzt leben“. Dort erfahren sie auch, wie heute im Rahmen einer Anstellung gearbeitet werden kann, wofür ein zunehmendes Interesse vorhanden ist. Immer mehr Praxen stellen Ärzte an, so dass entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sind und mit den geplanten Teampraxen werden hoffentlich neue Anstellungsmöglichkeiten geschaffen. Für die Zukunft wird es also wichtig werden, für die heutigen Arbeitgeber Nachfolger zu finden. Nicht immer sind die in einer Praxis angestellten Ärzte bereit, die Praxis als Inhaber fortzuführen, wenn der bisherige Praxisinhaber aus Altersgründen einen Nachfolger sucht.

Ist der klassische Hausbesuch heute noch lebbar? Also praktisch durchführbar? (Arbeitsbelastung bei den Ärzten)

Bianca Hartz: Hausbesuche werden auch in Zukunft unvermeidbar sein, aber in welcher Art und Weise diese stattfinden, wird sich vermutlich ändern. Aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch der verstärkten Zentralisierung der Arztsitze, wird die Notwendigkeit für Hausbesuche eher zunehmen. Daher sind neue Strukturen notwendig und diese bieten die nichtärztlichen Praxisassistentinnen und zwar insbesondere dann, wenn sie auch noch mit einem so genannten Telerucksack ausgestattet sind. Derartige Modelle sind in der Erprobung und bisher ist mir nicht Negatives dazu bekannt geworden.

Corona hat die Anzahl der Praxen, die eine Videosprechstunde anbieten, sprunghaft ansteigen lassen und auch dies kann unter bestimmten Umständen eine Möglichkeit sein, um Hausbesuche zu ersetzen. Vieles ist in der Testphase und muss sowohl von den Praxen als auch den Patienten noch im Alltag erprobt werden. Die Tätigkeit der Hausärzte wird sich jedenfalls mit Sicherheit weiter wandeln und viele Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen finden es spannend, hierbei gestaltend mitzuwirken.

Glauben Sie, dass sich die Telemedizin zukünftig fest etabliert?

Davon gehe ich aus. Meiner Ansicht nach sollte man diese Frage aber nicht damit verbinden, wie viele Ärzte in Zukunft benötigt werden. Es sollte nicht vorrangig darum gehen, Arztzeit einzusparen, sondern weite Wege oder wie im Rahmen von Corona Kontakte zwischen infektiösen Patienten und Praxispersonal. Die Telemedizin ändert Abläufe in den Praxen, die entsprechend angepasst werden müssen. Für die Patienten jedenfalls dürfte sie so große Vorteile haben, dass sie sich etablieren wird. Praxen, die ein entsprechendes Angebot machen, werden zukünftig einen Wettbewerbsvorteil haben. Die Krankschreibung per Videosprechstunde wäre vor einiger Zeit für viele noch undenkbar gewesen und hat sich jetzt während der Pandemie als sinnvoll erwiesen, so dass sie unter bestimmten Voraussetzungen dauerhaft ermöglicht wurde.

Wie sehen Sie die Delegation in der Praxis?

Auf das Thema Delegation reagieren einige Ärzte immer noch empfindlich. Meiner Einschätzung nach sind jedoch die jüngeren Ärzte offener für neue Wege und haben weniger Bedenken gegen die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Angehörige anderer Berufe. Sollte es bundesweit zu einem größeren Ärztemangel kommen, wird jedenfalls die Notwendigkeit zunehmen, mehr delegieren zu können.

Wir haben eine Erstattung der Kosten für die Ausbildung der nichtärztlichen Praxisassistenten bzw. -assistentinnen (NäPa) in den Strukturfonds aufgenommen, um mehr Hausärzten eine Entlastung durch eine NäPa zu ermöglichen. Wir sehen diese Form der Delegation somit als hilfreich an und gehen davon aus, dass sie sich weiter etablieren wird.

Letztendlich sei erwähnt, dass wir das vielleicht beste Gesundheitswesen der Welt haben, was nicht zuletzt während der Pandemie deutlich geworden ist. Spannend ist, in welche Richtung es sich in Zukunft entwickelt. Die Bedarfsplanung im ambulanten Bereich jedenfalls sollte meiner Ansicht nach so flexibel wie möglich bleiben und lokale Entscheidungen vor Ort ermöglichen. Dann werden wir in Schleswig-Holstein auch weiterhin die richtigen Ansätze finden, um die vertragsärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten sicherstellen zu können.

Das Gespräch wurde von Dr. Claudia Krepcke, Dr. Claudia Ehrenhofer und Dr. Herme Rijnberk durchgeführt.

Kurzporträt Bianca Hartz, KVSH

Studium der Rechtswissenschaften in Kiel. Nach der Tätigkeit als Rechtsanwältin seit 1997 bei der Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein, zunächst als Mitarbeiterin der Rechtsabteilung und dann als Leiterin der Abteilung Zulassung/Praxisberatung mit den Geschäftsstellen des Zulassungs-, Berufungs- und Landesausschusses.