Talk about mit Dr. med. Gisa Andresen

Foto Dr Gisa AndresenInterview mit Dr. med. Gisa Andresen

Vorsitzende des Förderkreises Qualitätssicherung S-H / Vizepräsidentin ÄKSH

vom 14.07.2020 per Webex

 

FKQS-SH: Wie empfinden Sie die aktuelle Versorgungsstruktur?

Dr. Gisa Andresen: Auf Schleswig-Holstein bezogen empfinde ich die aktuelle Versorgung als sichergestellt und bedarfsgerecht. Es gibt natürlich Gebiete, in denen die Erreichbarkeit des Hausarztes von der Mobilität der Patienten abhängt, aber dieses Problem lösen Landbewohner und Landärzte kreativ, z. B. durch Nutzung telemedizinischer Möglichkeiten, den Einsatz der nichtärztlichen Praxisassistentin (NäPA)oder den klassischen Hausbesuch.

Nur 2 % der motorisierten Patienten im ländlichen Raum schaffen es nicht, innerhalb von 15 Minuten einen Arzt zu erreichen.

Muss aus Ihrer Sicht die KV hier weiter unterstützen, beraten oder informieren?

Dr. Gisa Andresen: Die Steuerung der Versorgung ist Aufgabe und Pflicht der KV.

Die KV unterstützt bereits intensiv, sie hat zum 1.10.2019 den so genannten Strukturfonds eingerichtet, dessen Ziel u. a. die Förderung von Teampraxen ist. Auch Gesundheitszentren und Praxen, die auf die Unterstützung durch die gerade erwähnte NäPA setzen, werden finanziell beeindruckend unterstützt.

Gemeinsam mit der Ärztekammer wird jährlich der Existenzgründertag organisiert. Hier werden abgebende Praxisinhaber und an einer Praxis-Übernahme Interessierte zusammengebracht und über „Risiken und Nebenwirkungen“ umfassend informiert.

Um eine Unterversorgung zu vermeiden, bedarf es diverser Maßnahmen der Motivation zur Niederlassung junger Kolleginnen und Kollegen.

Die KVSH beteiligt sich an Umzugskosten und übernimmt z. T. auch Kinderbetreuungskosten bei Vollzeittätigkeit.

KV, Krankenhausgesellschaft (KGSH) und Ärztekammer bieten im gemeinsam geführten Institut für ärztliche Qualität in Schleswig-Holstein den Service der „Laufbahnassistenz“ an, um die sich in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin befindenden Kolleginnen und Kollegen bei der Planung derselben strukturiert zu unterstützen.

Da Famulaturen und das PJ am Ende des Studiums bisher kaum im ländlichen niedergelassenen Bereich stattfinden, unterstützt die KV auch Famulaturen außerhalb von Kiel und Lübeck finanziell.

Dazu gehört das Engagement von niedergelassenen Ärzten für Aus- und Weiterbildung.

Allerdings wissen die Studierenden oft nicht, dass es solche Programme gibt und kennen weder Ärztekammer noch KV, deshalb müssen beide Körperschaften bereits auf dem Campus sichtbar werden.

Eine weitere Chance, den ambulanten Tätigkeitsbereich kennen zu lernen, sehe ich in der neuen Weiterbildungsordnung, die seit dem 1. Juli 2020 in SH gilt und verstärkt die Möglichkeit bietet, die erforderlichen Weiterbildungsinhalte im ambulanten Bereich zu erwerben.

Was ist aus Ihrer Sicht für junge Ärzte und Ärztinnen spannender – in die Klinik, in die niedergelassene Praxis oder in die Forschung zu gehen? Warum ist das aus Ihrer Sicht so?

Dr. Gisa Andresen: Alle Bereiche bieten unheimlich interessante Tätigkeitsschwerpunkte.

Als Studierender startet man oft mit einer verklärten Vorstellung vom Arztberuf und stellt im Laufe des Studiums und im Rahmen der Weiterbildung (die (noch) schwerpunktmäßig im Krankenhaus stattfindet) fest, wo die Vor- und Nachteile der Tätigkeit im Krankenhaus, in der Niederlassung oder in der Forschung liegen.

In der Klinik arbeite ich nie allein, habe immer Kolleginnen und Kollegen, die ich fragen kann und sehe ein riesiges Spektrum an Krankheiten und Therapiemöglichkeiten – habe aber auch eine hohe Dienstfrequenz, mindestens zwei Wochenenden pro Monat sind betroffen und das Krankenhaus ist z. T. noch sehr hierarchisch organisiert.

Die spannende Arbeit im Kontext der Forschung findet ebenfalls meist im Team statt, ist verbunden mit der Chance, zu lehren, allerdings auch mit der Pflicht, für die „Finanzierung“ der Forschungsprojekte zu sorgen.

Die Niederlassung bietet zum einen die große Freiheit, den eigenen Arbeitsplatz und die Arbeitszeit in Grenzen flexibel zu gestalten – auf der anderen Seite steht, wenn ich mich als Selbstständiger niederlasse, das wirtschaftliche Risiko, das viele junge Kolleginnen und Kollegen scheuen – dieses Problem könnte die Anstellung im MVZ „heilen“.

Zurzeit findet die Weiterbildung hauptsächlich in der Klinik statt.

Das wird sich ändern, sobald sich die neue Weiterbildungsordnung „mit Leben“ füllt.

Warum glauben Sie, dass immer weniger junge Mediziner und Medizinerinnen sich für die Fachrichtung Allgemeinmedizin entscheiden?

Dr. Gisa Andresen: Man kann sich nur für etwas begeistern und entscheiden, was man kennenlernen durfte.

Deshalb unterstützt die KV Famulaturen im niedergelassenen Bereich außerhalb der großen Städte in der Hoffnung, Studierende auch für das PJ und die Niederlassung im ländlichen Bereich gewinnen zu können.

Heute kommen immerhin noch etwa 60-70 % der Medizinstudierenden in der ärztlichen Tätigkeit und damit am Patienten an. Die meisten allerdings im fachärztlichen Bereich, weil die Weiterbildung zum Facharzt im Krankenhaus stattfindet. Der Facharzt für Allgemeinmedizin setzt sich aus Weiterbildungsinhalten zusammen, die in unterschiedlichen Fachbereichen erworben werden müssen, inkl. 18 Monaten Tätigkeit in der Praxis. Das bedingt organisatorischen Aufwand, weil man in verschiedenen Kliniken bzw. Klinikabteilungen arbeiten muss.

Viele entdecken ihre Begeisterung für die Arbeit als Hausarzt auch erst nach Erwerb einer anderen Facharzt-Qualifikation und kommen viel später in der Praxis an.

In SH sind wir auf einem guten Weg und einen großen Anteil haben die Kompetenzzentren für Allgemeinmedizin des UKSH in Kiel und in Lübeck. Es gelingt, die Studierenden für die Allgemeinmedizin zu begeistern.

Was nicht funktioniert, ist der Zwang. Studierende starten heute sehr viel selbstbewusster und eloquenter in den Beruf als früher. Ich bewundere das. Es ist beeindruckend, wie intensiv sie sich engagieren, politisch aktiv sind und wirklich etwas verändern wollen.

Die jungen Ärztinnen und Ärzte wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das gilt für beide Elternteile!

Sie möchten als Ärzte tätig sein und nicht in der Bürokratie versinken und sie sind offen gegenüber ganz unterschiedlichen neuen Arbeitsmodellen, die auch die parallele Tätigkeit in Klinik und Praxis nicht ausschließt.

Im Rahmen des deutschen Ärztetages bietet der „Dialog mit jungen Ärztinnen und Ärzten“ den jungen Kolleginnen und Kollegen eine Plattform und uns die Möglichkeit, über deren Wünsche und Ziele miteinander ins Gespräch zu kommen und auch die AEKSH befindet sich im regen und regelmäßigen Austausch mit den Studierenden und den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung.

Ist der klassische Hausbesuch heute noch lebbar? Also praktisch durchführbar? (Arbeitsbelastung bei den Ärzten)

Dr. Gisa Andresen: Die Anfahrt ist zeitaufwändig und unwirtschaftlich und es stellt sich die Frage, ob diese Zeit nicht sinnvoller mit ärztlicher Tätigkeit gefüllt werden werden könnte.

Hier wird der Einsatz von NäPAs oder Physician Assistants für die Versorgung interessant in Verbindung mit den Möglichkeiten der Telemedizin.

Glauben Sie, dass sich die Telemedizin zukünftig fest etabliert? Sehen Sie als Kammer die Notwendigkeit, dass sie fachübergreifend (Ärzte und Pflegepersonal) enger zusammenarbeiten müssen? (Telesprechstunde von der zu pflegenden Person durch das hausärztliche Pflegepersonal)

Dr. Gisa Andresen: Das Thema Telemedizin wird sich weiter etablieren. Bisher litt das Thema „digitale Transformation“ unter dem klassischen deutschen „Bedenkenträgertum“, so dass man sich nur zögerlich auf den Weg begeben hat. „Abwehren und klein hoffen“ war die Strategie. Stattdessen sollten wir aktiv mitgestalten und kreativ bedarfsgerechte Lösungen entwickeln.

Es gibt schon viele gute Beispiele: HALLIGMed, den Telerucksack, die Idee einer „Praxis ohne Arzt“ mit telemedizinischer Anbindung an mehrere Praxen oder die Psychotherapie per Chat. In den Segeberger Kliniken bekommen Herzinsuffizienzpatienten eine elektronische Waage mit, die die Werte überträgt oder Schwangere, die den errechneten Geburtstermin überschritten haben bekommen ein CTG-Gerät zur Aufzeichnung der Tätigkeit inkl. Modem mit nach Hause – in beiden Fällen wird so die stationäre Aufnahme vermieden.

Wie sagte unser ehemaliger Vorsitzender Herr Dr. Bartmann: „Digitalisierung geht nicht mehr weg“.

Vielleicht ist es vorübergehend noch eine Generationenfrage, ob man lieber eine Praxis aufsuchen möchte, um den Arzt live zu sehen oder die Möglichkeit der Videosprechstunde nutzt, um den Virenaustausch im Wartezimmer zu vermeiden…. Dankbar berichten Eltern und Patienten von dem Angebot der virtuellen Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche (ViDiKi).

Wir sollten uns nicht um die Möglichkeiten der Unterstützung durch Telemedizin und digitale Transformation bringen. Auch die Patienten werden diese nutzen, wenn sie für sie von Nutzen ist.

Daher mein Fazit: Es geht nicht mehr ohne!

Das Gespräch wurde per MS-TEAMS Videokonferenz von Dr. Claudia Krepke, Dr. Claudia Ehrenhofer und Dr. Herme Rijnberk geführt.

Curriculum Vitae Dr. med. Gisa Andresen

 

  • Studium der Humanmedizin in Kiel
  • AIP („Arzt im Praktikum“) Chirurgie
  • Facharzt-Weiterbildung Anästhesie
  • Leitende Oberärztin Klinik Anästhesie und operative Intensivmedizin Diako Flensburg
  • berufspolitisch aktiv im Marburger Bund

 

seit 2009 Delegierte der Kammerversammlung ÄKSH
seit 2013 Vorstandsmitglied ÄKSH
seit 2013 Vorsitzende des Fortbildungsausschusses ÄKSH
seit 2013 Aufsichtsratsmitglied der Versorgungseinrichtung ÄKSH
seit 2018 Vizepräsidentin ÄKSH
seit 2019 Vorsitzende FKQS (Förderkreis Qualitätssicherung im Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein e.V.)