Talk about mit der Fachschaft Medizin Kiel
Interview mit Miriam Güthe, Anna Hofmann und Jakob Voran
von der Fachschaft Medizin Kiel vom 28.06.2020 per MS-TEAMS Videokonferenz |
Miriam Güthe |
Anna Hofmann |
Jakob Voran |
Herr Voran, wie empfinden Sie die aktuelle Versorgungsstruktur?
Fachschaft Medizin Kiel: Im Studium fällt es schwer einen systematischen Überblick über die Versorgungsstruktur zu erlangen. Durch die Ausrichtung auf die universitäre Medizin fokussiert man sich mehr Richtung Maximalversorger und bekommt in den ambulanten Bereich oder periphere Krankenhäuser nur in Famulaturen, und später dann im PJ, einen Einblick. Das Thema Versorgungsstruktur in unserer Fachschaftsarbeit haben wir bisher vor allem in Verbindung mit der Studienplatzvergabe in Schleswig-Holstein bearbeitet und erst nach dem Besuch des Herbstsymposiums 2019 des FKQS umfassendere Informationen dazu in die Fachschaft hineingetragen.
Was ist aus Ihrer Sicht für junge Ärzte und Ärztinnen spannender – in die Klinik, in die niedergelassene Praxis oder in die Forschung zu gehen?
Warum ist das aus Ihrer Sicht so?
Was muss sich im Studium ändern, dass die Entscheidung für eine Fachrichtung leichter fällt?
Alle Möglichkeiten sind über die Studierendenschaft gesehen gleichermaßen spannend. Es gibt forschungsbegeisterte Studierende, andere sind klinisch orientiert und es gibt viele, die sich niederlassen wollen bzw. die ambulante Versorgung als Berufsziel haben.
Meinem Eindruck nach fällt die initiale Entscheidung über begeisternden Unterricht und Praktika in den einzelnen Fächern und Versorgungssektoren. Um die Entscheidung zu unterstützen, sollte man also die Wahl haben, entsprechend der eigenen Interessen Fächer zu vertiefen und die Famulaturen/PJ-Tertiale zu wählen. Im Hinblick auf den ambulanten Sektor gibt es einige Initiativen, um die Entscheidung zu unterstützen und weitergehend über die Tätigkeit zu informieren:
Im Wahlpflichtfach „Wie führe ich eine Arztpraxis“ im Studium, bei der Praxistour SH (eine Bustour durch Schleswig-Holstein zu ausgewählten Praxen) und in der Initiative der KV SH „Mehr Arztleben“ werden Medizinstudierende während ihrer Ausbildung von der KV begleitet und sie erhalten Informationen über die Auswahl an Niederlassungsmöglichkeiten.
Außerdem werden Finanzierungzuschüsse, wie z. B. der Fahrtkostenzuschuss, während des Blockpraktikums oder eine Förderung während der Famulaturzeiten angeboten.
Ein großer Schwerpunkt im Studium liegt jedoch in der klinischen Ausbildung mit Fokus auf die universitäre Medizin. Es gibt nur sehr wenige ambulante Lehreinheiten und Lehrveranstaltungen durch niedergelassene DozentInnen z. B. in der Allgemeinmedizin. Häufig spricht aber die derzeitige Kapazitätsverordnung dagegen, dass generell die ambulante Versorgung für z. B. Blockpraktika stärker eingebunden werden kann. Hierbei könnten dann niedergelassene ÄrztInnen in den Vorlesungen direkt aus der Praxis berichten und praktische Beispiele aufzeigen. Ich könnte mir z. B. vorstellen, dass jeweils eine Lehreinheit je klinischem Fach, wie z. B. „Urologie in der Praxis“, angeboten wird.
Das Studium ist sehr theorielastig. Es wäre wünschenswert, wenn Lehre und Praxis mehr miteinander verknüpft werden.
Warum glauben Sie, dass immer weniger junge Mediziner und Medizinerinnen sich für die Fachrichtung Praktischer Arzt / Hausarzt entscheiden?
Prinzipiell ist es so nicht der Fall, dass die Medizinstudentinnen und Studenten sich nicht niederlassen wollen. Die Berufsbezeichnung „Praktischer Arzt“ ist jedoch nicht möglich, da man sich nicht mehr ohne Facharztweiterbildung (im kassenärztlichen Bereich) niederlassen kann. Ich kenne viele Kommilitonen, die gerne Allgemeinmediziner werden möchten, aber es wird wenig im Studium dazu gelehrt und der Fokus liegt oft auf anderen klinischen Fächern. Dabei ist es nichts Generelles, was gegen die Fachrichtung spricht. Vielmehr spielen viele weiche Faktoren hier eine Rolle: Teilweise unattraktivere finanzielle Gründe, Standortfaktoren und teilweise eine Abwertung durch lehrende ÄrztInnen.
Es gibt in Schleswig-Holstein Förderungen in Form von Stipendien, wenn man sich verpflichtet, sich als Allgemeinmediziner auf dem Land niederzulassen. Eine generelle Verpflichtung, eine gewisse Zeit in der Allgemeinmedizin zu arbeiten, wäre meiner Meinung nach aber nicht förderlich, das würde eher das Gegenteil bewirken und würde eher abschrecken. Das Institut für Allgemeinmedizin ist in Schleswig-Holstein sehr engagiert, über die Vorzüge dieses Fachs zu informieren. Aber gegen einen reinen Studiengang „Allgemeinmedizin“ sprechen sich die Fachschaft und auch alle anderen Institutionen in SH aus.
Glauben Sie, dass sich die Telemedizin zukünftig fest etabliert?
Die Telemedizin wird in der Zukunft verstärkt kommen. Ich fand es sehr beeindruckend, was im Bereich der Telemedizin durch die Covid-Pandemie alles geleistet wurde. Die Chancen sind da. Allerdings tut man sich im Gesundheitswesen mit dem Datenschutz sehr schwer, der spielt in der Umsetzung eine wichtige Rolle, teilweise stellt er aber auch eine Hürde dar. Ich wünsche mir, dass wir bereits weiter wären und klare gesetzliche Vorgaben hätten! Große Schwierigkeiten zeigen sich derzeit häufig in fehlenden bzw. schwachen Internetverbindungen, außerdem haben wir von vielen Fragen bezüglich der Abrechnung gehört. Ich stehe der Telemedizin sehr offen gegenüber, aus meiner Sicht wird sie die Versorgung revolutionieren.
Skandinavien ist da schon viel weiter, es ist viel digitaler unterwegs. Teilweise gibt es eine persönliche digitale Patientenakte, wo die Patienten, aber auch die vom Patienten berechtigten behandelnden ÄrztInnen relevante medizinische Vorbefunde nachsehen können. Gut umgesetzt könnten wir und vor allem die Patienten davon profitieren.
Die Fakultät will die digitale Medizin stärker fördern. Es existiert allerdings weder ein Lehrbuch zu dem Thema noch ein Curriculum, welches Vorschläge macht, welche Kompetenzen gelehrt werden sollten. Die Geschwindigkeit der Entwicklung stellt dabei Dozierende vor große Herausforderungen. Insgesamt sollte die digitale Medizin mehr in der Lehre abgebildet werden, als Vorbereitung für das spätere Berufsleben. Das ist allerdings nicht so einfach, da die Approbationsordnung die bundesweiten Lehrinhalte vorgibt. Wir Studierende sollten dabei auch den Anspruch haben, die Telemedizin selbst weiter zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass diese evidenzbasiert die Versorgung verbessert und erleichtert.
An wen kann sich die Fachschaft wenden, um den Lehrplan zu ändern?
Die Lehre wird von der Fakultät und insbesondere von den einzelnen Lehrstühlen gestaltet. Daher sind diese der Hauptansprechpartner für uns als Fachschaft. Der Rahmen dafür ist in der Approbationsordnung vorgegeben und wird auch in einem großen Maße durch die Ausrichtung der Staatsexamina, welche durch das Institut für pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) erstellt werden, bestimmt. Diese Ebene versuchen wir über die Arbeit unserer Bundesvertretung der Medizinstudierenden zu beeinflussen. Sie hat sehr gute Kontakte zu Entscheidungsträgern in der Politik. Der Masterplan 2020 auf Bundesebene ist noch in der Entwicklung, ursprünglich sollte er schon erschienen und umgesetzt sein. Er soll größere Praxisnähe bringen und die ambulante Medizin stärken. Dort soll auch das Thema digitale Medizin platziert werden, die Umsetzung vor Ort wird aber entscheidend sein.
Wir würden uns daher freuen, wenn für die digitale Lehre und die Lehre digitaler Kompetenzen finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Hierzu sind wir auch in SH im engen Austausch mit der Politik. Während wir in Kiel momentan bei der Lehre digitaler Kompetenzen eher rückständig sind, hoffen wir auf eine zukünftige Vorreiterrolle, die wir gemeinsam mit unserem Dekan und dem Studiendekanat erreichen möchten.
Was würden Sie sich von der Politik wünschen?
Vielen Dank für diese Frage! Das ist einfach: ein faires PJ! Ein faires praktisches Jahr für uns Studierenden. Das PJ als letzter Teil des Studiums bedeutet ein Jahr in der Klinik zu arbeiten und zu lernen. Leider gibt es strukturelle Bedingungen im PJ, die verhindern, dass diese so wichtige Zeit im eigentlichen Sinne genutzt werden kann. Ein großer Teil des PJs besteht in Hilfstätigkeiten wie Blutabnehmen und Hakenhalten im OP. Die Lehre kommt dabei oft zu kurz. Darüber hinaus zahlt das UKSH keine Aufwandsentschädigung an die PJ´lerInnen, weshalb viele Studierende während des PJs einer schwierigen finanziellen Situation entgegensehen. Zudem führt dies zu einer Abwanderung in andere Bundesländer und ins Ausland, wo die Studierenden als angehende Ärzte später ihre Arbeit beginnen nicht wieder nach Schleswig-Holstein zurückkommen. Gäbe es eine Finanzierung, bin ich mir sicher, dass mehr Studierende in SH bleiben würden. Die Fachschaft ist auch hier im engen Austausch mit der Politik.
Vielen Dank für das Interview und den großartigen Austausch. Auch wir haben viel über die Tätigkeit der Fachschaft Medizin Kiel gelernt.
Das Gespräch wurde per MS-TEAMS Videokonferenz von Dr. Monika Övermöhle, Dr. Claudia Ehrenhofer und Dr. Herme Rijnberk geführt.
Kurze Vorstellung der Fachschaft Medizin Kiel
Die Fachschaft Medizin Kiel ist die Studierendenvertretung der Kieler Medizinstudierenden. Als Ansprechpartnerin für die Studierenden setzt sich die Fachschaft für deren Probleme und Wünsche ein. Zum Anderen vertritt sie die Medizinstudierenden auch in den verschiedenen Gremien der medizinischen Fakultät wie dem Konvent, dem Studienausschuss, dem Lehrkrankenhausausschuss und hochschulpolitisch auf der universitären Ebene zum Beispiel in der Fachschaftsvertreter*innenkonferenz. Die Fachschaft Medizin Kiel ist eine offene Fachschaft, die während der Vorlesungszeit einmal wöchentlich tagt.
www.fs-medizin-kiel.de
Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) ist die demokratisch legitimierte Vertretung der über 98.000 Medizinstudierenden an den 39 medizinischen Fakultäten der Bundesrepublik Deutschland. Hauptaufgaben sind die Interessenvertretung gegenüber Hochschulen und Politik, internationale Austauschprogramme sowie die Förderung und Vernetzung studentischer Initiativen und Projekte.
www.bvmd.de