Talk about mit Lynn Kretschmer

Foto Lynn KretschmerFoto Tobias VentInterview mit Lynn Kretschmer, Referentin der Geschäftsführung im Städtischen Krankenhaus Kiel, und Tobias Vent, Werkstudent in der Geschäftsführung im Städtischen Krankenhaus Kiel 

vom 12. Mai 2022

Bitte stellen Sie Ihr Projekt „Sektorübergreifende Versorgung invasiver Eingriffe und OPs“ kurz vor. Was waren die Hintergründe für dieses Projekt?

Lynn Kretschmer: Alle Akteure des Gesundheitswesens haben mit dem steigenden Druck von außen zu kämpfen: Steigende Qualitätsanforderungen, knapper werdende personelle sowie materielle Ressourcen und aufwändiger werdende Medizintechnik. Das Städtische Krankenhaus Kiel möchte die Vernetzung mit niedergelassenen ÄrztInnen fördern. Das Ziel unseres Projektes „Sektorübergreifende Versorgung invasiver Eingriffe und OPs“ ist es, hochinstallierte und kostenintensive Bereiche, wie Operations- und Eingriffsräume, gemeinsam mit niedergelassenen ÄrztInnen zu nutzen. Voraussetzung hierfür ist die Schaffung einer digitalen Organisationsstruktur für die OP-Terminplanung und OP-Dokumentation, auf welche ortsunabhängig zugegriffen werden kann und welche den Datenschutzanforderungen genügt. Für die PatientInnen hätte dies den Charme, dass diese die Behandlung inkl. Vor- und Nachsorge aus einer Hand erleben.

Bisher läuft die Buchung eines OP-Saals in den Krankenhäusern überwiegend per Fax, Telefon oder E-Mail, womit ein hoher händischer Koordinationsaufwand einhergeht. Darüber hinaus ist diese Art des Buchungsprozesses fehleranfällig, zeitaufwendig und bindet wertvolle Ressourcen. Allen am Versorgungsprozess Beteiligten sollen durch ein innovatives System, welches das Arztinformationssystem (AIS) und das Krankenhausinformationssystem (KIS) verknüpft, die relevanten Patientendaten elektronisch vor, während und nach dem jeweiligen Eingriff zur Verfügung gestellt werden. Mit dieser neuen digitalen Schnittstelle zwischen dem KIS-Programm der Klinik und den AIS-Programmen im ambulanten Bereich möchten wir den niedergelassenen KollegInnen eine ortsunabhängige Möglichkeit schaffen, Operations- und Eingriffsräume in Echtzeit buchen zu können. Durch den Datenaustausch der beiden Systeme können u. a. Doppeluntersuchungen vermieden werden, fehleranfällige (händische) Datenübertragung und zeitaufwändige Abstimmungsprozesse entfallen. Durch diese Maßnahme kann die Versorgungsqualität und Patientensicherheit sowie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen und -einrichtungen verbessert werden.

Wie aufwendig und kompliziert war die Antragstellung und ist die laufende Dokumentation?

Lynn Kretschmer: Das Antragsverfahren war sehr klar definiert. Schwer getan haben wir uns mit der Erstellung der Projektbeschreibung, da unser Projekt innovativ ist und wir uns auf kein Referenzprojekt beziehen konnten. Der Projektausgang bzgl. der einzuführenden Software war entsprechend noch nicht klar definiert. Damit konnte nur die Zielvorstellung mitgeteilt werden, ohne zu wissen, wie das Ergebnis am Ende aussieht und über welchen Weg das Projektziel erreicht wird. Wir müssen jährlich einen Zwischennachweis einreichen, welcher einen Sachbericht zum aktuellen Stand des Projektes und den bisher getätigten Ausgaben beinhaltet.

Wie lange hat der Genehmigungsprozess gedauert?

Lynn Kretschmer: Vom Download des Formulars für den Förderantrag bis zur Genehmigung hat es ca. 12 Monate gedauert, was aber u. a. an der Konkretisierung unserer Projektidee und den Rückfragen zum Projekt lag. Darüber hinaus gab es im Vorwege einige Abstimmungstermine mit Frau Hesse aus dem Sozialministerium, um zu prüfen, ob das Projekt überhaupt förderfähig ist.

Welche Qualitätsparameter werden mit dem Projekt verfolgt?

Lynn Kretschmer: Hintergrund des Versorgungssicherungsfonds ist die Verbesserung der Patientenversorgung in der Fläche u. a. mit Hilfe der Digitalisierung. Es ist erforderlich mindestens einen Fördertatbestand zu erfüllen. Bei unserem Projekt wird die Versorgung der PatientInnen durch den digitalen Befundaustausch zwischen dem Krankenhaus und der Arztpraxis gefördert, indem die Daten durch die digitale Lösung jederzeit vollständig und vollumfänglich vorliegen, sodass der Patient seine Daten nur einmal angeben muss. Auch die Prozesse in der medizinischen Verwaltung werden verschlankt. Darüber hinaus liegen dem Arzt in Notfallsituationen alle benötigten Patienteninformationen vor, wie beispielsweise Allergien und Unverträglichkeiten, was die Patientensicherheit erhöht. Aufgrund des digitalen Befundaustausches entfallen Doppeluntersuchungen, somit auch psychische Belastung der PatientInnen durch die Untersuchungen oder auch körperliche Belastungen wie z. B. Strahlenbelastungen. Durch den direkten und ortsunabhängigen Zugriff der niedergelassenen KollegInnen auf den OP-Terminkalender wird zum einen die Terminvergabe beschleunigt und zum anderen die Compliance des Patienten erhöht, da dieser in den Terminabstimmungsprozess eingebunden werden kann. Die Tatsache, dass der ambulante Eingriff in einem Krankenhaussetting stattfindet, ist ein großer Sicherheits- und Qualitätsfaktor für den Patienten, denn im Notfall kann der Patient sofort adäquat von Krankenhauspersonal unter Zuhilfenahme der umfassenden Krankenhausinfrastruktur versorgt werden. Somit werden insgesamt Ressourcen geschont und die Patientenversorgung verbessert.

Wird die Überführung in die Regelversorgung angestrebt?

Lynn Kretschmer: Ambulante Operationen sind bereits Teil der Regelversorgung. Uns geht es darum, die Prozesse der ambulanten Operationen zu verbessern und diese mit niedergelassenen Operateuren im Krankenhaus stattfinden lassen zu können. Der Vorteil wäre, dass nicht jede Arztpraxis einen kleinen Operationssaal vorhält, da auch die Qualitätsanforderungen für Operationssäle im niedergelassenen Sektor weiter steigen.
Das Projekt „Sektorübergreifende Versorgung invasiver Eingriffe und OPs“ ist aktuell auf die Nutzung von Operationssälen eines Klinikums durch niedergelassene Ärzte ausgerichtet. Wir sehen aber durchaus die Übertragbarkeit des Projektes auf andere Leistungsbereiche wie Herzkatheter oder Endoskopien.

Weiterhin wird das Projekt auf andere Regionen übertragbar sein. Wenn das Projekt gelingt, wird dies deutschlandweit für viele Versorger, die bereits sektorenübergreifend zusammenarbeiten, dies aber „zu Fuß“ ohne digitale Strukturen organisieren, ein Anreiz sein, ihr Engagement auf diesem Sektor auszuweiten. Darüber hinaus wird das Projekt möglicherweise weitere Krankenhäuser, welche bisher durch die Hürden zwischen ambulantem und stationärem Sektor abgeschreckt wurden, dazu anregen, die sektorenübergreifende Versorgung zu etablieren.

Das Gespräch wurde von Dr. Monika Övermöhle und Marie Zimmermann geführt.

Anregung: Nähere Info unter https://www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/G/gesundheitsdienste/Versorgungssicherungsfonds.html

Kurzvita Lynn Kretschmer

Referentin der Geschäftsführung im Städtischen Krankenhaus Kiel sowie seit 2020 Geschäftsführerin der Gastroenterologisch-Hepatologischen MVZ Kiel GmbH

  •  Bis 2015 Duales Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Nordakademie Elmshorn und im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
  • 2015 – 2017 Assistentin der kaufmännischen Zentrumsleitung im Zentrum für Operative Medizin des UKE
  • Seit 2017 Referentin der Geschäftsführung im Städtischen Krankenhaus Kiel sowie seit 2020 Geschäftsführerin der Gastroenterologisch-Hepatologischen MVZ Kiel GmbH

 

Kurzvita Tobias Vent

Werkstudent in der Geschäftsführung im Städtischen Krankenhaus Kiel

  • Bis 2020 Abschluss des Bachelor-Studiums in Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Rostock
  • Seit 2020 Studium der Wirtschaftsinformatik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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